Kind Gottes in der Kopftuchschachtel!

Einem elfjährigen Mädchen wurde in Osnabrück an einem Samstagnachmittag von einem fremden, erwachsenen Mann das Kopftuch heruntergerissen.

 

Die Technik des Kopftuchs-Wickelns

Ich weiß nicht ob sich “Kopftuchreißer” darüber bewusst sind, wie die meisten muslimischen Frauen sich ihr Kopftuch binden und ob sie vielleicht denken, die Frau hätte sich das Kopftuch einfach nur um den Kopf gewickelt. Dem ist meist nicht so. Das Anlegen eines Kopftuches ähnelt dem Frisieren der Haare und nimmt ähnlich viel Zeit in Anspruch. Als “Grundlage”, damit es nicht rutscht, dient ein Untertuch. Darauf kommt das eigentliche Kopftuch. Dieses wird mit (vielen) Nadeln am Untertuch fixiert und so auch in die gewünschte Form gebracht. Wieso erzähle ich Ihnen das?

Nun, wenn man sich vorstellt, welche Kraft nötig ist, um jemandem das auf diese Weise fixierte Kopftuch zu entreißen und mit welchen Schmerzen und Verletzungen dies einher gehen kann, versteht man, dass dies nicht einfach nur ein Kavaliersdelikt sein kann und drastisch geahndet werden muss. Abgesehen von den möglichen körperlichen Schäden, ist es für einen Außenstehenden sicherlich schwer nachvollziehbar, welche psychischen Schäden das Opfer erleidet. Wie muss sich ein Kind fühlen, das in aller Öffentlichkeit von einem Mann angegriffen wird, der seinen fünf Freunden beweisen wollte, was für ein toller Vaterlandsverteidiger er doch ist. Wie soll dieses Kind lernen der Gesellschaft zu vertrauen, wenn es gezeigt bekommt, dass die Gesellschaft selbst ihm nicht traut? Wie soll dieses Kind überhaupt noch anderen Menschen Vertrauen schenken? Allein die Angst, dass dies jederzeit wieder geschehen könnte, hat das Potenzial dazu, das Opfer erheblich in seinem Alltag einzuschränken und gerade in diesem Alter wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit einen negativen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung haben.

 

Kinder als Gegenstand der Islamdebatte

Ja, es gibt seit einiger Zeit einen steigenden, antimuslimischen Rassismus. Aber die Dimension, dass Kinder zu Opfern von Gewalt werden ist neu. Neu ist aber auch, dass Kinder Gegenstand der Islamdebatte geworden sind. Leider ist Islamdebatte in Deutschland auch stets mit Islamkritik verbunden. So haben vor einigen Wochen die Konservativen in der Politik das Thema Kopftuch bei Mädchen für sich entdeckt. Sie scheinen etwas recherchiert zu haben, denn tatsächlich hat das Kopftuch für Mädchen unterhalb dieses Alters wenig bis keine religiöse Grundlage. Ein Mädchen muss die Pubertät erreicht haben und sich freiwillig und aus religiöser Überzeugung für das Kopftuch entscheiden. Ein Umstand den so manch 14-Jährige noch nicht erreicht hat. Bei Etlichen dauert dieser Prozess der Entscheidung bis ins Erwachsenenalter und wenn sie sich dagegen entscheiden ist dies meist auch okay. Denn es gibt keinen Zwang im Glauben (vgl. Koran 2:256). Grundsätzlich nimmt die Zahl der Frauen mit Kopftuch ab. Mit weniger als 30 % stellen sie eine Minderheit unter Muslimen dar. Von diesen 30 % haben 6,7 % angegeben, dass sie das Kopftuch tragen damit sie ihrem Mann oder ihrer Familie gerecht werden. Auch wenn das bei der Gesamtzahl der Musliminnen nur 2 % ausmacht, sind das m. E. immer noch 2 % zu viel. Denn ich bin der Ansicht, dass jedes religiöse Handeln, welches nicht aufgrund von Gottesehrfurcht und wahrem Glauben geschieht, der Religion und der Person eher schadet als das es ihr nutzt.

Bei unter 14-Jährigen fehlen vergleichbare Zahlen gänzlich.

Die Politik hat dieses Thema aufgegriffen und ist mit einer Blutgrätsche aufs Spielfeld gestürzt. Von einem Kopftuchverbot war auf einmal die Rede. Eltern die ihr Kind vor der Pubertät ein Kopftuch tragen ließen, würden ihr Kind sexualisieren. Dabei seien es die Väter, die Zwang auf ihre Töchter ausübten und somit ihr gestörtes Sexualverständnis auf ihre Töchter projizierten. Als muslimischer Vater blieb mir da nur das Kopfschütteln. Nun ist ein Kind aufgrund seines Kopftuches attackiert und verletzt worden. Die Zeit des Kopfschütteln ist für mich vorbei. Das Mindeste was ich als muslimischer Vater tun kann, ist das Wort zu ergreifen.

Ich gebe der Art und Weise wie die Diskussion zum Thema Kopftuch bei unter 14-Jährigen geführt wurde eine Mitschuld an den Geschehnissen. Denn wenn so einseitig und stigmatisierend über ein Kopftuchverbot diskutiert wird, suggeriert man dass die Trägerinnen etwas Falsches machen. Und aus diesem, angeblich „Falschem“, beziehen solche Täter ihre persönliche Legitimation für ihre Taten. Hätte man mit einer sensibleren Gesprächsführung seitens der Politik einen solchen Angriff verhindern können?

 

Der Wunsch nach Kopftuch

Wie schon erwähnt ist eine Empfehlung für ein “Entscheiden für ein Kopftuch” ab 13 – 14 Jahren religiös vertretbar. Es ist also durchaus denkbar, dass so ein Vorstoß bei vielen Muslimen Akzeptanz träfe. Deshalb ist die gleichzeitige Stigmatisierung der Muslime seitens der Politik umso unverständlicher und der Verdacht liegt nahe, dass dieses Thema ohne Rücksicht auf die Befindlichkeit der Betroffenen populistisch ausgeschlachtet wird. Wie verspricht man sich so, bei einer durchaus plausiblen Kritik, auf Gehör bei den Muslimen zu stoßen?

Zunächst sei einmal gesagt, dass es vielfältige Gründe haben kann weshalb ein junges Mädchen dennoch ein Kopftuch trägt. Da wären z. B. der Moscheebesuch und der Koranunterricht. Der Moscheebesuch und das Lesen des Korans unterliegen besonderen rituellen Regeln. Dazu gehört z. B. neben der rituellen Waschung und dem Anziehen von reiner Kleidung, das Tragen eines Kopftuches bei Frauen. Dies wird Kindern schon in jungen Jahren vermittelt und so ist es ganz normal, dass man am Wochenende Väter sieht, die ihre kleinen, kopftuchtragenden Mädchen in den Koranunterricht bringen. So, wie auch ich es zig Mal getan habe. Muss ich mich nun deswegen als perverser Vater fühlen und mein Sexualverständnis in Frage stellen? Soll ich nun meinen Mädchen sagen, “zieht bitte eure Kopftücher erst in der Moschee an und zieht es aus bevor ihr sie wieder verlässt” weil ich befürchten muss, dass man mir den Stempel des ultra-konservativen Islamisten aufdrücken wird oder schlimmer noch, ich mir Sorgen um das Wohl meiner Töchter machen muss?

Ein weiterer Grund weshalb ein junges Mädchen ein Kopftuch trägt könnte sein, dass das Kind es aus freiem Willen macht. Ja, Sie haben richtig gehört, freiwillig! So schwer das auch für manche vorstellbar ist, es ist nicht unüblich, dass ein Mädchen den Wunsch äußert ein Kopftuch tragen zu wollen. Auch dies kann verschiedene Gründe haben. Geistige Frühreife zum Beispiel oder Vorbilder im unmittelbarem Umfeld. Je nach Alter und Reife des Kindes kann es aus Sicht muslimischer Eltern Sinn machen, diese Motivation des Kindes zuzulassen und dem Wunsch des Mädchens nachzugehen.

Wir haben halt so tolle, liebevolle Power-Mamas; Verständlich, dass ihnen ihre Töchter nacheifern.

Auch meine Tochter hat im Alter von neun Jahren den Wunsch geäußert ein Kopftuch tragen zu wollen. Nach kurzer gemeinsamer Überlegung mit meine Frau haben wir das Gespräch mit ihr gesucht. Uns war bewusst, dass ihr Wunsch nicht aus religiöser Überzeugung entstanden sein kann. Sie wollte wahrscheinlich ihrer Mutter, vielleicht auch ihrer Tante die sich kurz zuvor für ein Kopftuch entschied, nacheifern.

Als Eltern wünscht man sich immer das Beste für sein Kind und so stellt man idealerweise eine Reihe von Überlegungen an. Unsere waren:

Ist sich das Kind der Verantwortung eines Kopftuches bewusst?

Kann es seine Entscheidung sinnvoll begründen?

Wie wird das Umfeld dies Aufnehmen? Und welche Auswirkungen wird dies auf das Kind haben.

Ist das Kind in der Lage etwaige Kritik oder verbale Attacken zu verkraften und sich gegen diese zu wehren?

Da wir die erste und letzte Frage klar mit Nein beantworten konnten, haben wir ihr geraten, mit ihrer Entscheidung noch etwas zu warten. Wir haben ihr bewusst gemacht, dass hierzu eine gewisse Verantwortung nötig ist und man ganz klar wissen sollte, warum man diese Entscheidung trifft. Leider mussten wir ihr auch darüber berichten, dass es Menschen gibt, die Frauen mit Kopftüchern nicht mögen. Dies war für sie völlig unverständlich.

Dennoch haben wir ihren Wunsch nicht vollständig zurückgewiesen. Wir haben ihr angeboten, dass sie gerne im Beisein ihrer Mutter hin und wieder das Kopftuch “draußen” ausprobieren kann. Für sie war das Thema schnell erledigt und die Möglichkeit, das Kopftuch hin und wieder auszuprobieren hat sie auch nicht wirklich oft genutzt.

Ja, es freut muslimische Eltern in der Regel wenn ihr Kind mit solch einem Wunsch auf sie zukommt. Es erfüllt sie sogar mit Stolz, denn anscheinend war der Versuch der religiösen Erziehung in einem gewissen Maße erfolgreich und/oder man hat es geschafft seinen Kindern ein positives Vorbild zu sein mit dem sich das Kind identifizieren möchte. Aber dennoch; Hätten wir rein nach Emotionen gehandelt und sie dazu ermutigt es zu tragen, hätten wir riskiert, dass unser Kind Kritik ausgesetzt gewesen wäre, dem es in seinem Alter nichts entgegen zu setzen hätte. Wir hätten riskiert, dass es viel zu früh negative Erfahrungen mit dem Muslimsein aufgrund der Mehrheitsgesellschaft gemacht hätte. Und dies alles womöglich aufgrund einer Lust, einer kurzfristigen Laune des Kindes!

Wie man sieht kann es auch nicht im Interesse muslimischer Eltern sein, ihrem Kind so früh wie möglich ein Kopftuch überzustülpen. Dem Kindeswohl ist hier auch aus religiöser Hinsicht mehr Beachtung zu schenken als dem elterlichen Wunsch einer frühkindlichen Kleidervorschrift oder der kurzweiligen Laune des Kindes.

 

Vom Missstand zur win-win Situation

Wenn nun für Muslime eine Empfehlung für das Kopftuch ab einem Alter von 13 – 14 Jahren kein Problem darstellt, könnte doch die Debatte durchaus konstruktiv genutzt werden, da es auch im Interesse der muslimischen Eltern sein muss, dass die Entscheidung ihres Kindes nachhaltig ist. Voraussetzung hierfür ist aber, dass man seinem Gegenüber traut, vertraut und ihm auch etwas zutraut.

Politik und Vertreter der Muslime wären durchaus in der Lage, gemeinsam zu wirken und an die Vernunft der Eltern zu appellieren. Der Politik muss aber auch klar sein, dass sie, auch aufgrund ihrer ständigen Islamkritik, keine Veränderungen ohne muslimische Organisationen herbeiführen kann.

Ohne populistische Absichten kann so ein Thema Anstoß zum innerislamischen Dialog sein und sogar positive Auswirkungen auf das gegenseitige Verständnis und das gemeinsame Zusammenleben aller haben!

Im Falle dieser Kopftuchdebatte hätte dies wie folgt aussehen können:

Die Politik stellt eine Anfrage bei muslimischen Organisationen und islamischen Institutionen bezüglich einer Einschätzung zu Kopftüchern bei unter 14-Jährigen.

Die Politik bewertet die Einschätzungen der Muslime und prüfte, ob aus diesen Einschätzungen Empfehlungen und Handreichungen für muslimische Eltern und Lehrer entstehen könnten.

Die muslimischen Institutionen verfassen Empfehlungen für Eltern und Handreichungen für Lehrer in Zusammenarbeit mit den Behörden. Sie helfen bei der Verteilung der Empfehlungen an die Eltern.

So oder ähnlich hätte ich mir eine lösungsorientierte Debatte vorstellen können. Das Kind außen vor in der Diskussion und somit raus aus dem “Schussfeld”. Der Versuch einer Konsensfindung ohne eine vorangehende Stigmatisierung. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit innerhalb einer freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Ob eine auf diese Weise geführte Debatte das Opfer der Attacke vor dem Angriff bewahrt hätte? Ich weiß es nicht! Ich weiß aber, dass dieses Kind, bei einer lösungsorientierten Debatte, frei von Stigmatisierung und Populismus, die Chance bekommt, Vertrauen gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung aufzubauen anstatt, wie es jetzt der Fall sein könnte, sogar die Schuld an diesem Unrecht bei eben dieser Grundordnung zu suchen.

Kaiserslautern den 08.05.2018

2 Gedanken zu “Kind Gottes in der Kopftuchschachtel!

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